Trick statt Mathematik
Viele sog. mathematische Probleme aus Youtube-​Film­chen arbei­ten mit bil­ligen Tricks, um anzu­geben. In Wirk­lich­keit war die Lösung bekannt, man arbei­tete nur auf sie zu und nennt keine Gründe für die daraus resul­tie­renden merk­würdi­gen Umfor­mungen. Man sagt natür­lich nicht, wie man erst­malig zur Lösung kam, wenn nicht umge­kehrt ein Problem zu ihr geba­stelt wurde. Das empfinde ich als unred­lich, nenne es in der über­schrift aber nur Trick, weil es sich so schön reimt. Ein ukrai­nisches Bei­spiel: [1]
          
    /  16      Only Gunies Solve This? 
  \/ 4−√15
Die Frage kann ich mit nein beantworten. Und nach zwanzig teil­weise unmo­tivier­ten Schritten kommt √24+√40 heraus. Das ist keine Mathe­matik sondern angebe­rische Augen­wische­rei! Eher mathe­matisch zu nennen ist die folgende Vor­gehens­weise, die auch in vielen ähn­lichen Fällen zur Lösung führt:

Zunächst die auf der Hand liegende Besei­tigung der Wurzel im Nenner und Ausla­gerung der 16 zu 4√(4+√15). Vor allem in konstru­ierten Fällen wie hier kannn die Doppel­wurzel über

±√x±√y=√(a±√b), also x+y=a=−p und xyb/4=q und
x,y=(a±√D)/2 Lösung von z²+pz+q=0 mit D=a²∓b

besei­tigt werden, sofern die Dis­krimi­nante D Quadrat einer ratio­nalen Zahl ist. Hier D=1, damit x=5/2 und y=3/2, was zur Lösung √40+√24 führt.

[1] Fällt mir im Zusammen­hang mit Rechen­mätzchen die Ukraine wegen des Krieges nur zuneh­mend auf, oder wird sie wie Havard, Oxford und Einstein zur Effekt­hasche­rei öfter genannt? Zumin­dest ist es noch nicht so wie beim ESC, daß man die Ukraine die Mathe­matik-​Schüler­olym­piade gewin­nen läßt.

[2] Ukraine | Can you Solve?? | Nice Radical Olympiad Mathe­matics! #maths #math #olympiad. GT Aca­demix, Youtube, März 2025.

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Wieder Augenwischerei [1]
       x2
x2 + ------ = 3   x = ?
     (x+1)2
Das entspricht der Gleichung

(1) x4+2x3x2−6x−3=0

die über eine Formel lösbar ist, ich aber nach­schlagen müßte. Außer­dem ist dieser Weg hier sicher­lich nicht inten­diert. Viel­mehr wird im Video ‚geschickt‘ zu

[x2/(x+1)]2+2[x2/(x+1)]=3, also m2+2m=3 für m=x2/(x+1)

umgeformt. Jede der zwei Lösungen für m führt auf jeweils zwei für x. Darauf kam ich nicht, zumal ich die Kon­struk­tion der Aufgabe aus der Lösung nicht kannte. Im Film­chen wurde sie einfach rückwärts abge­spult, wenn nicht ohne jedes Hinter­fragen abge­kupfert. Das ist Verar­schung und keine Heran­führung an die Mathematik. [2]

Wie sind also die vermut­lich einfachen Lösungen zu finden? Zeichnet oder berech­net man grob das Polynom zu (1), sieht man reelle Null­stellen in der Nähe von 1,6 und −0,6. Damit besteht Verdacht auf goldenen Schnitt. Φ und −φ könnten also Lösungen sein. [3] Dann müßte die linke Seite von (1) durch (x+φ)(xΦ), also x²−x−1 ohne Rest teilbar sein. Die Poly­nom­divi­sion ergibt tat­säch­lich

(x2+3x+3)(x2x−1)=0

mit den Lösungen Φ und −φ, also (1±√5)/2 sowie (−3±i√3)/2.

[1] A Nice Algebra Problem | Math Olympiad | Solve for x=?. SALogic, Youtube, März 2025.

[2] Es ist durchaus nicht unredlich oder unmathe­matisch, in Über­legungen trick­reiche Wen­dungen einzu­bauen. Viele wurden erst nach langer Zeit gefunden. Doch hier handelt es sich um eine bedeu­tungs­lose ver­steckte Bezie­hung, die mit keinem Wort erläu­tert wird und nur der Ange­berei dient.

[3] Der Verdacht muß nicht über­prüft werden. Wäre er falsch, ginge die nach­fol­gende Poly­nomdi­vison nicht auf. Es ist aber nett, −φ und Φ in die Ausgangs­glei­chung einzu­setzen, um auf die schöne Bezie­hung Φ²+φ²=3 zu kommen. Dazu sind Φ=φ+1=1/φ, Φ²=Φ+1 und φ²=1−φ recht nützlich.

Goldener Schnitt

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x³+2=3∛(3x−2) ‒ x=?“. [1] Diesmal wenig­stens wirk­lich ein netter Trick: Es wird ∛(3x−2) durch y ersetzt. Das führt auf x³=3y−2 und ysup3;=3x−2 mit der Diffe­renz x³−y³=−3(xy), also x=y oder x²+xy+y²+3=0, was aber immer über 0 liegt. [2] Es verbleibt x³−3x+3=0, was durch einen kleinen zweiten Trick zu (x−1)(x²+x−2)=0 faktor­isiert wird. Der linke Faktor liefert x₁=1, der rechte durch erneute Fakto­risie­rung x₂=1 und x₃=−2. Das sind aber nur zwei Lösun­gen, wenn­gleich seine Behaup­tung, 1 sei eine doppelte Lösung, im weite­sten Sinne gerecht­fertigt ist. [3]

Ich bin auf y=∛(3x−2) nicht gekommen. Wahrschein­lich hielt mein Klein­hirn solche Erset­zungen für im allge­meinen wenig ziel­führend und beach­tete nicht den Hinweis meines Groß­hirnes, es handele sich ja eine für solche Mätz­chen kon­stru­ierte Aufgabe. Deshalb ging ich es mit gesunden Menschen­verstand an: Offen­sicht­lich sind 1 und −2 Lösungen. Skiz­ziert man linke und rechte Seite, ist bei 1 sogar eine tangen­tiale Berüh­rung zu vermuten.

Die dritte Potenz beider Seiten zu bilden und aus dem Polynom neunten Grades den Faktor (x−1)²(x+2) raus­zudivi­dieren, hinter­läßt leider ein Polynom sechsten Grades, von dem man zeigen könnte, daß es bestän­dig positiv ist, also keine Null­stelle hat.

Das ist zu mühsam und deshalb zu Fuß: Die linke Seite f(x)=x³+2 weist für x≤0 eine Rechts-, die rechte g(x)=3∛(3x−2) eine Links­krümmung auf. Wegen f(0)>0>g(0) ist in diesem Bereich also nur ein gemein­samer Punkt möglich, nämlich der bei x=−2. Bei x=1 berüh­ren sich f und g mit gemein­samer Tangente 3x. Da f für x>1 links- und g rechts gekrümmt ist, entsteht in diesem Bereich kein wei­terer gemein­samer Punkt. Ebenso keiner wegen g(x)≤0<3≤f(x) im Streifen 0≤x≤⅔ und wegen f ′(x)<3<g′(x) im verblei­benden Streifen ⅔<x<1. Damit sind die ein­zigen reelen Lösungen x=1 und x=−2. Nicht mit Index 1 und 2, schon gar nicht 1, 2 und 3.

Weshab schreibe ich das so breit? Weil Mathe­matik nur selten darin besteht, einen Trick zu finden. Es ist nichts einzu­wenden gegen schlich­tes ziel­führen­des Vorgehen, das im Vergleich mit dem Trick zwar zeit­aufwen­dig ist und umständlich erscheint, aber zumeist immer noch schneller ist als die stunden- bis jahre­lange Suche nach diesem Trick. Beson­ders gemein finde ich, daß Film­chen wie diese sich an ein Publikum wenden, das keine Ana­lysis zur Lösung ein­setzen kann und darauf ange­wiesen ist, einen solchen Trick zu finden. Das ist weniger Mathe­matik, mehr Ange­berei und zumeist nur abge­kupfert.

[1] A Nice Algebra Problem | Math Olympiad | Can you solve for x=?. SALogic, Youtube, März 2025.

[2] Tricks für konstru­ierte Aufgaben haben geringen sitt­lichen Nährwert. Ein elegan­terer ist der zum Beweis, daß x²+xy+y² nicht negativ sein kann: x²+xy+y²​≥∣x∣²−2∣x∣∣y∣+∣y²​=(∣x∣−∣y∣)²≥0.

[3] Durch ‚Kubieren‘ der Ausgangs­gleichung erhält man x⁹+6x⁶+12x³−81x+62=0. Das Polynom links hat eine ein­fache Null­stelle bei −2 und eine doppelte bei 1. Daher die den normalen Zuschauer verwir­rende Rede­weise mit der doppel­ten Lösung.

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