Patt
Schach ist ein endliches Zweiper­sonen-​Null­summen-​Spiel mit voll­stän­diger Infor­mation. Deshalb gibt es eine optimale Stra­tegie. Entweder kann Weiß oder Schwarz den Sieg erzwin­gen oder beide Remis. Welche von den drei Möglichkeiten gilt, ist unbe­kannt. Wenn ein Spieler keinen gültigen Zug mehr machen kann, ohne im Schach zu stehen, nennt man das Patt und das Spiel endet remis. Hätte dann wie in vielen anderen Spielen der zugun­fähige Spieler einfach verloren, würden ausweg­lose Situa­tionen des Alltages wohl nicht patt genannt werden oder umgekehrt dieser Begriff im Schach fehlen. Diese Wort­gleich­heit ist so und so merk­würdig, weil unend­liche Partien im Schach doch nicht durch Patt­vermei­dung, sondern dadurch ausge­schlos­sen werden, daß man nach 50 fort­schritts­losen Zügen und nach drei­facher Stellungs­wieder­holung ein Remis ver­langen kann, es notfalls vom Schieds­richter angesetzt wird.

Die Situation in der ersten konsti­tuie­renden Sitzung des Landtages zu Thü­ringen wurde auch als Patt bezeich­net. Anders als im Schach [1] ist damit eine scheinbar ausweg­lose, zumin­dest verfah­rene Situa­tion gemeint, in der keine Partei sich durch­setzen kann, keine ver­zichten will, beide sich nicht einigen können und es kein Remis gibt. Die Ent­schei­dung des Ver­fasungs­gerich­tes aber zeigt, daß doch eine Auf­lö­sung mög­lich ist, auch wenn sie einem nicht gefal­len mag.

Trotzdem bleibt, was der Youtuber Christian Rieck aus Sicht seiner Spiel­theorie mehr­fach sagte: Es wurde versäumt, in die Geschäfts­ordnung eine Patt­auflö­sung aufzu­nehmen. [2] Etwa derge­stalt, daß nach drei erfolg­losen Wahl­gängen alle Frak­tionen Vor­schläge machen dürfen und nach fünfen die einfache Mehr­heit aus­reicht. Dieser Mangel war schon vor langer Zeit aufge­fallen, doch verwei­gerte die CDU eine solche Ände­rung, weil sie erwar­tete, stärkste Frak­tion zu werden, um dann den margi­nalen Vorteil des Vor­schlags­rechtes zu nutzen. Dieser Plan schei­terte. Und die AfD trug diesen Mangel und diese Selbst­gerech­tigkeit einer breiten Öffent­lichket vor. [3] Im Ergebis wäre ja in jedem Falle kein AfD-Präsident heraus­gekommen.

[1] Das mußte ich hier erwähnen und mit dem Schach­spiel einleiten, weil der Autor des Wiki­pedia-​Artikels „Patt“ mich mit der Bemer­kung begei­sterte, der Begriff Patt würde im Schach und in der Politik analog, aber nicht univok ver­wendet.

[2] Christian Rieck: Von der Geschäfts­ordnung zur "Macht­ergrei­fung" in Thü­ringen. Youtube, 28.09.2024.

[3] Man mag dazu stehen wie man will, doch bei mir wird hängen bleiben, daß sich Andreas Bühl von der CDU nicht entblö­dete der AfD ange­sichts dieser unbedeu­tenden und so und so schei­ternden Wahl Macht­ergrei­fung vorzu­werfen. Hoffent­lich hält deshalb keiner die Adolf Hitlers für eine ver­gleich­bare Margi­nalie.

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Natürlich möchte die regierende Koalition auch den Präsi­denten des Parla­mentes stellen. Nur geht dies schlecht, weil er vor der Regie­rungs­bildung zu wählen ist. Es liegt deshalb nahe, jeden zur Wahl zuzu­lassen. Nur hat man sich in Deutsch­land zumin­dest im Bundestag dafür ent­schieden, den Vorsitz der stärk­sten Fraktion zu über­lassen. [1] Das ist weniger eine Frage des Rechtes und der Geschäfts­ordnung als der Tradi­tion und des Anstan­des.

Nach der Bundestags­wahl 1969 ent­schied sich das Züng­lein an der Waage für die SPD mit Willy Brandt als Kanzler. Bundes­tags­präsi­dent wurde aber Kai-​Uwe von Hassel. Das gleiche acht Jahre später mit Helmut Schmidt und Karl Carstens, auch dessen Nach­folger Richard Stücklen. Probleme gab es nur 1954 als Eugen Gersten­maier sich erst im dritten Wahlgang gegen den Partei­kollegen Ernst Lemmer durch­setzte.

Es ist deshalb unanständig von der Thüringer CDU, den Vorsitz nicht der AfD zu über­lassen und schon im Vorfeld die Anrufung des Verfas­sungs­gerichtes vorbe­reitet zu haben. Dessen Ent­schei­dung verwun­dert nicht, denn warum sollten Richter von CDU, SPD, Grünen und Linken der AfD den Vorsitz bedin­gungs­los zuspre­chen? Damit will ich nicht in den Chor einstimmen, man hätte über Jahre nur genehme Richter dort unter­gebracht. Es fiel mir aber bei dieser Gelegen­heit auf, daß sie mehr­heit­lich partei­gebunden sind und sich ihre Auf­fas­sungen im Laufe der Zeit auch ohne Neuwahl mit denen ihrer Parteien ver­schieben.

[1] Ich überprüfe jetzt nicht, ob Fraktionen zu diesem Zeitpunkt schon bestehen oder gar zum Zwecke der Wahl des Präsi­denten vorüber­gehend gebildet werden können. Aber sicher­lich fällt das Vor­schlags­recht auch nicht einfach der größten Partei zu, denn das war die CDU ohne CSU wohl nur selten. Also viel­leicht Listen­vereini­gungen.

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Ich bin letztens auf eine ziemlich interessante Partie zwischen zwei Schach-Engines gestoßen. Vielleicht mögen Sie da ja mal drauf gucken:
https://www.youtube.com/watch?v=oIsy07JZ7Qs

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David hat Goliath mit einem unerwarteten Angriff besiegt, KI‑Sy­steme sind syste­mati­schem Vor­gehen über­legen! Nein, so ist es nicht. Viel­leicht auch nicht, wie ich es sehe: Stock­fish hat natür­lich das dro­hende Patt und den Gegen­angriff gese­hen, war jedoch der Meinung, mit vier Bauern im Vorteil zu blei­ben, wenn er vom Schla­gen des letzten beweg­lichen schwar­zen Steines Abstand nimmt. Dabei übersah er die beiden anderen Remis-​Fallen: 50‑Züge-​Regel und Stel­lungs­wieder­holung.

Diese Schwäche ist sicher­lich altbe­kannt. Doch derar­tige seltene Wen­dun­gen, die Men­schen und meinet­wegen auch KI‑Sy­ste­me schnell erken­nen, ständig zu berück­sich­tigen, kostet Rechen­zeit, die woanders besser einge­setzt ist. Und tatsäch­lich verweist Stockfish Leela nor­maler­weise auf den zweiten Platz. Es wäre etwas anderes, wenn es Menschen oder KI‑Sy­ste­men ständig gelänge, Min-​Max-​Alpha-​Beta-​Jünger in solche Fallen zu locken. Dann hätte Stock­fish von Anfang an eben­falls rochiert und die Stel­lung geschlos­sen gehal­ten, was Schach­compu­tern gerne den Vorwurf der Lang­weilig­keit ein­trägt.

Was bedeutet das als Gleichnis für Thürin­gen? Die weiße CDU greift an, sieht ein Patt, hat sich aber darauf vorbe­reitet, dies gericht­lich auf­lösen zu lassen. Doch die schwarze AfD leistet Wider­stand und die weiße CDU kann ihren Vorteil nicht nutzen, verzet­telt sich in end­lose Koali­tions-​Desa­ster, statt ein­fach das Damen­opfer der AfD anzu­nehmen. Aber viel­leicht irre ich mich, und es gelingt ihnen doch noch eine Lösung, die man zumin­dest als Sieg ver­kaufen kann.

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