Patt
wuerg, 28.09.2024 23:34
Schach ist ein endliches Zweipersonen-Nullsummen-Spiel mit vollständiger Information. Deshalb gibt es eine optimale Strategie. Entweder kann Weiß oder Schwarz den Sieg erzwingen oder beide Remis. Welche von den drei Möglichkeiten gilt, ist unbekannt. Wenn ein Spieler keinen gültigen Zug mehr machen kann, ohne im Schach zu stehen, nennt man das Patt und das Spiel endet remis. Hätte dann wie in vielen anderen Spielen der zugunfähige Spieler einfach verloren, würden ausweglose Situationen des Alltages wohl nicht patt genannt werden oder umgekehrt dieser Begriff im Schach fehlen. Diese Wortgleichheit ist so und so merkwürdig, weil unendliche Partien im Schach doch nicht durch Pattvermeidung, sondern dadurch ausgeschlossen werden, daß man nach 50 fortschrittslosen Zügen und nach dreifacher Stellungswiederholung ein Remis verlangen kann, es notfalls vom Schiedsrichter angesetzt wird.
Die Situation in der ersten konstituierenden Sitzung des Landtages zu Thüringen wurde auch als Patt bezeichnet. Anders als im Schach [1] ist damit eine scheinbar ausweglose, zumindest verfahrene Situation gemeint, in der keine Partei sich durchsetzen kann, keine verzichten will, beide sich nicht einigen können und es kein Remis gibt. Die Entscheidung des Verfasungsgerichtes aber zeigt, daß doch eine Auflösung möglich ist, auch wenn sie einem nicht gefallen mag.
Trotzdem bleibt, was der Youtuber Christian Rieck aus Sicht seiner Spieltheorie mehrfach sagte: Es wurde versäumt, in die Geschäftsordnung eine Pattauflösung aufzunehmen. [2] Etwa dergestalt, daß nach drei erfolglosen Wahlgängen alle Fraktionen Vorschläge machen dürfen und nach fünfen die einfache Mehrheit ausreicht. Dieser Mangel war schon vor langer Zeit aufgefallen, doch verweigerte die CDU eine solche Änderung, weil sie erwartete, stärkste Fraktion zu werden, um dann den marginalen Vorteil des Vorschlagsrechtes zu nutzen. Dieser Plan scheiterte. Und die AfD trug diesen Mangel und diese Selbstgerechtigkeit einer breiten Öffentlichket vor. [3] Im Ergebis wäre ja in jedem Falle kein AfD-Präsident herausgekommen.
[1] Das mußte ich hier erwähnen und mit dem Schachspiel einleiten, weil der Autor des Wikipedia-Artikels „Patt“ mich mit der Bemerkung begeisterte, der Begriff Patt würde im Schach und in der Politik analog, aber nicht univok verwendet.
[2] Christian Rieck: Von der Geschäftsordnung zur "Machtergreifung" in Thüringen. Youtube, 28.09.2024.
[3] Man mag dazu stehen wie man will, doch bei mir wird hängen bleiben, daß sich Andreas Bühl von der CDU nicht entblödete der AfD angesichts dieser unbedeutenden und so und so scheiternden Wahl Machtergreifung vorzuwerfen. Hoffentlich hält deshalb keiner die Adolf Hitlers für eine vergleichbare Marginalie.
Die Situation in der ersten konstituierenden Sitzung des Landtages zu Thüringen wurde auch als Patt bezeichnet. Anders als im Schach [1] ist damit eine scheinbar ausweglose, zumindest verfahrene Situation gemeint, in der keine Partei sich durchsetzen kann, keine verzichten will, beide sich nicht einigen können und es kein Remis gibt. Die Entscheidung des Verfasungsgerichtes aber zeigt, daß doch eine Auflösung möglich ist, auch wenn sie einem nicht gefallen mag.
Trotzdem bleibt, was der Youtuber Christian Rieck aus Sicht seiner Spieltheorie mehrfach sagte: Es wurde versäumt, in die Geschäftsordnung eine Pattauflösung aufzunehmen. [2] Etwa dergestalt, daß nach drei erfolglosen Wahlgängen alle Fraktionen Vorschläge machen dürfen und nach fünfen die einfache Mehrheit ausreicht. Dieser Mangel war schon vor langer Zeit aufgefallen, doch verweigerte die CDU eine solche Änderung, weil sie erwartete, stärkste Fraktion zu werden, um dann den marginalen Vorteil des Vorschlagsrechtes zu nutzen. Dieser Plan scheiterte. Und die AfD trug diesen Mangel und diese Selbstgerechtigkeit einer breiten Öffentlichket vor. [3] Im Ergebis wäre ja in jedem Falle kein AfD-Präsident herausgekommen.
[1] Das mußte ich hier erwähnen und mit dem Schachspiel einleiten, weil der Autor des Wikipedia-Artikels „Patt“ mich mit der Bemerkung begeisterte, der Begriff Patt würde im Schach und in der Politik analog, aber nicht univok verwendet.
[2] Christian Rieck: Von der Geschäftsordnung zur "Machtergreifung" in Thüringen. Youtube, 28.09.2024.
[3] Man mag dazu stehen wie man will, doch bei mir wird hängen bleiben, daß sich Andreas Bühl von der CDU nicht entblödete der AfD angesichts dieser unbedeutenden und so und so scheiternden Wahl Machtergreifung vorzuwerfen. Hoffentlich hält deshalb keiner die Adolf Hitlers für eine vergleichbare Marginalie.
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wuerg,
30.09.2024 00:40
Natürlich möchte die regierende Koalition auch den Präsidenten des Parlamentes stellen. Nur geht dies schlecht, weil er vor der Regierungsbildung zu wählen ist. Es liegt deshalb nahe, jeden zur Wahl zuzulassen. Nur hat man sich in Deutschland zumindest im Bundestag dafür entschieden, den Vorsitz der stärksten Fraktion zu überlassen. [1] Das ist weniger eine Frage des Rechtes und der Geschäftsordnung als der Tradition und des Anstandes.
Nach der Bundestagswahl 1969 entschied sich das Zünglein an der Waage für die SPD mit Willy Brandt als Kanzler. Bundestagspräsident wurde aber Kai-Uwe von Hassel. Das gleiche acht Jahre später mit Helmut Schmidt und Karl Carstens, auch dessen Nachfolger Richard Stücklen. Probleme gab es nur 1954 als Eugen Gerstenmaier sich erst im dritten Wahlgang gegen den Parteikollegen Ernst Lemmer durchsetzte.
Es ist deshalb unanständig von der Thüringer CDU, den Vorsitz nicht der AfD zu überlassen und schon im Vorfeld die Anrufung des Verfassungsgerichtes vorbereitet zu haben. Dessen Entscheidung verwundert nicht, denn warum sollten Richter von CDU, SPD, Grünen und Linken der AfD den Vorsitz bedingungslos zusprechen? Damit will ich nicht in den Chor einstimmen, man hätte über Jahre nur genehme Richter dort untergebracht. Es fiel mir aber bei dieser Gelegenheit auf, daß sie mehrheitlich parteigebunden sind und sich ihre Auffassungen im Laufe der Zeit auch ohne Neuwahl mit denen ihrer Parteien verschieben.
[1] Ich überprüfe jetzt nicht, ob Fraktionen zu diesem Zeitpunkt schon bestehen oder gar zum Zwecke der Wahl des Präsidenten vorübergehend gebildet werden können. Aber sicherlich fällt das Vorschlagsrecht auch nicht einfach der größten Partei zu, denn das war die CDU ohne CSU wohl nur selten. Also vielleicht Listenvereinigungen.
Nach der Bundestagswahl 1969 entschied sich das Zünglein an der Waage für die SPD mit Willy Brandt als Kanzler. Bundestagspräsident wurde aber Kai-Uwe von Hassel. Das gleiche acht Jahre später mit Helmut Schmidt und Karl Carstens, auch dessen Nachfolger Richard Stücklen. Probleme gab es nur 1954 als Eugen Gerstenmaier sich erst im dritten Wahlgang gegen den Parteikollegen Ernst Lemmer durchsetzte.
Es ist deshalb unanständig von der Thüringer CDU, den Vorsitz nicht der AfD zu überlassen und schon im Vorfeld die Anrufung des Verfassungsgerichtes vorbereitet zu haben. Dessen Entscheidung verwundert nicht, denn warum sollten Richter von CDU, SPD, Grünen und Linken der AfD den Vorsitz bedingungslos zusprechen? Damit will ich nicht in den Chor einstimmen, man hätte über Jahre nur genehme Richter dort untergebracht. Es fiel mir aber bei dieser Gelegenheit auf, daß sie mehrheitlich parteigebunden sind und sich ihre Auffassungen im Laufe der Zeit auch ohne Neuwahl mit denen ihrer Parteien verschieben.
[1] Ich überprüfe jetzt nicht, ob Fraktionen zu diesem Zeitpunkt schon bestehen oder gar zum Zwecke der Wahl des Präsidenten vorübergehend gebildet werden können. Aber sicherlich fällt das Vorschlagsrecht auch nicht einfach der größten Partei zu, denn das war die CDU ohne CSU wohl nur selten. Also vielleicht Listenvereinigungen.
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gedankenmaler,
12.11.2024 20:47
Ich bin letztens auf eine ziemlich interessante Partie zwischen zwei Schach-Engines gestoßen. Vielleicht mögen Sie da ja mal drauf gucken:
https://www.youtube.com/watch?v=oIsy07JZ7Qs
https://www.youtube.com/watch?v=oIsy07JZ7Qs
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wuerg,
15.11.2024 21:34
David hat Goliath mit einem unerwarteten Angriff besiegt, KI‑Systeme sind systematischem Vorgehen überlegen! Nein, so ist es nicht. Vielleicht auch nicht, wie ich es sehe: Stockfish hat natürlich das drohende Patt und den Gegenangriff gesehen, war jedoch der Meinung, mit vier Bauern im Vorteil zu bleiben, wenn er vom Schlagen des letzten beweglichen schwarzen Steines Abstand nimmt. Dabei übersah er die beiden anderen Remis-Fallen: 50‑Züge-Regel und Stellungswiederholung.
Diese Schwäche ist sicherlich altbekannt. Doch derartige seltene Wendungen, die Menschen und meinetwegen auch KI‑Systeme schnell erkennen, ständig zu berücksichtigen, kostet Rechenzeit, die woanders besser eingesetzt ist. Und tatsächlich verweist Stockfish Leela normalerweise auf den zweiten Platz. Es wäre etwas anderes, wenn es Menschen oder KI‑Systemen ständig gelänge, Min-Max-Alpha-Beta-Jünger in solche Fallen zu locken. Dann hätte Stockfish von Anfang an ebenfalls rochiert und die Stellung geschlossen gehalten, was Schachcomputern gerne den Vorwurf der Langweiligkeit einträgt.
Was bedeutet das als Gleichnis für Thüringen? Die weiße CDU greift an, sieht ein Patt, hat sich aber darauf vorbereitet, dies gerichtlich auflösen zu lassen. Doch die schwarze AfD leistet Widerstand und die weiße CDU kann ihren Vorteil nicht nutzen, verzettelt sich in endlose Koalitions-Desaster, statt einfach das Damenopfer der AfD anzunehmen. Aber vielleicht irre ich mich, und es gelingt ihnen doch noch eine Lösung, die man zumindest als Sieg verkaufen kann.
Diese Schwäche ist sicherlich altbekannt. Doch derartige seltene Wendungen, die Menschen und meinetwegen auch KI‑Systeme schnell erkennen, ständig zu berücksichtigen, kostet Rechenzeit, die woanders besser eingesetzt ist. Und tatsächlich verweist Stockfish Leela normalerweise auf den zweiten Platz. Es wäre etwas anderes, wenn es Menschen oder KI‑Systemen ständig gelänge, Min-Max-Alpha-Beta-Jünger in solche Fallen zu locken. Dann hätte Stockfish von Anfang an ebenfalls rochiert und die Stellung geschlossen gehalten, was Schachcomputern gerne den Vorwurf der Langweiligkeit einträgt.
Was bedeutet das als Gleichnis für Thüringen? Die weiße CDU greift an, sieht ein Patt, hat sich aber darauf vorbereitet, dies gerichtlich auflösen zu lassen. Doch die schwarze AfD leistet Widerstand und die weiße CDU kann ihren Vorteil nicht nutzen, verzettelt sich in endlose Koalitions-Desaster, statt einfach das Damenopfer der AfD anzunehmen. Aber vielleicht irre ich mich, und es gelingt ihnen doch noch eine Lösung, die man zumindest als Sieg verkaufen kann.
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