Computerschach 1979
Die sagenhafte im Februar 1979 vom ZDF ausgestrahlte Partie des schottischen Meisters David Levy gegen einen Industrieroboter, der die von Chess 4.8 auf dem Großrechner CDC Cyber 176 berechneten Züge ausführte, habe ich leider nicht gesehen, gehöre aber zu den über 50.000, die sich im Anschluß den von Pfleger und Levy kommentierten Spielverlauf [1] zusenden ließen. Das sind vier von einem Typenraddrucker, wenn nicht von einer Speicherschreibmaschine getippte Seiten. Einige Bemerkungen der beiden gebe ich hier wieder. Dazu die Ergebnisse einer schlichten Fehlersuche durch Fritz 6.

David Levy - Chess 4.8 (1979): 1. e4 e5, 2. f4 ef4:, 3. Sf3 g5, 4. d4 g4, 5. Lf4: gf3:, 6. Df3: Sc6, 7. d5 Df6, 8. dc6: Db2:, 9. Lc4. Levy nennt seinen Zug voreilig und unbedacht, Pfleger stimmt ihm zu. Auch Fritz sieht im Vergleich Db3 einen Verlust von anderthalb Bauerneinheiten und bewertete bereits die vorangehende Eröffnung mit anderthalb Einheiten für Schwarz. 9. ... Da1:, 10. Lf7:+ Kd8. Pfleger bemerkt hier, daß das Elektronengehirn nach der Verspeisung des fetten Turmes nicht in die Falle Kf7:, 11. Le5+ mit Damengewinn tappt. Warum auch? 11. o-o Dg7. Levy lobt die Maschine. Hier sei ihm klar geworden, daß sein Turmopfer wahrscheinlich nicht aufgehen würde. 12. Ld5. Dazu ist kein Kommentar von Levy oder Pfleger zu lesen. Fritz aber meint, Weiß habe wieder eine Bauerneinheit verloren und hätte Dc3 spielen sollen. 12. ... Lc5+, 13. Le3 Le3:+, 14. De3: dc6:, 15. Tf7 Dh6, 16. Dd4 cd5:, 17. Dh8: Db6+. Fritz geht kommentarlos über diesen Zug hinweg, obgleich Levy ihn fürchterlich nennt, weil er ihn einfach übersehen habe. 18. Kf1 Db1:+, 19. Kf2 Dc2:+, 20. Kg3 Dd3+, 21. Tf3 De4:, 22. Dg8:+ Kd7, 23. Dg7+ Kc6, 24. Tc3+ Kb5. Hier sieht Fritz den ersten Fehler von Schwarz, der damit zwei Bauerneinheiten zurückgibt. Levy und Pfleger aber sehen die Schwachstelle mit 23. ... Kc6 statt Kd6 einen Zug vorher. 25. Tb3+ Ka4, 26. Dc3 Dg4+, 27. Kf2 Dc4, 28. Ta3+ Kb5, 29. Da5+ Kc6, 30. Tc3 Le6, 31. Da4+ Kd6, 32. Tc4: dc4:, 33. Db4+ Kc6, 34. Da4+. Pfleger erklärt, warum Schwarz den Damenverlust im 32. Zug nicht bereits vor seinem 26. bzw. 27. gesehen hat, während Fritz ungerührt über die letzten zehn Züge hinweggeht, als sei schon immer klar gewesen, daß die Partie in dieser Phase ausgeglichen sei, woran der Tausch der Dame gegen Turm samt druckvollem Spiel nichts ändere. Der nun folgende Zug 34. ... b5 wird aber von allen als schwach gesehen, weil Schwarz damit ungeschickt einem Remis ausweicht. Pfleger nennt eine Fehlkonfiguration als Grund. Das Programm hielt sich für 200 Elo-Punkte stärker als Levy. 35. Da6+ Kd7, 36. Db5:+ Kd6, 37. Db4+ c5, 38. Dd2+ Kc7, 39. Dh6 Lg8, 40. Dg7+ Kc6, 41. g4 a6, 42. Df6+ Kb5, 43. Dd6 Kb4, 44. Db6+ Ka3, 45. Dc6 Tf8+, 46. Ke3 Tb8, 47. Da6:+ Kb2, 48. Dd6 Ta8, 49. Dd2+ Ka3, 50. h4 Ta6, 51. g5 Ta8, 52. h5 Te8+, 53. Kf4 Ta8, 54. Ke5 Ta6, 55. g6 hg6:, 56. hg6: Ta8, 57. Kf6 Ta4, 58. Kg7 Ta8, 59. Dg2 Td8, 60. Dc6 Td3. Unter Zeitdruck hat Levy sich in den letzten 25 Zügen steitg verbessert, daß Fritz ihn nun mit fast 9 Bauerneinheiten im Vorteil sieht. 61. Da6+ Kb4, 62. Kg8: Ta3, 63. Db6+ Kc3, 64. g7 Ta2:, 65. Kf7 Tf2+, 66. Ke7. Pfleger meint, das Damenopfer Df6 gewänne leicht. Das Programm hat damit gerechnet. Levy und Fritz aber haben es in der kurzen Zeit nicht gesehen. 66. ... Tg2, 67. Df6+ Kc2, 68. Df5+ Kb2, 69. Kf7 c3, 70. De5 c4, 71. Db5+ Kc1, 72. Dc4: Tg7:+. Das Programm wußte sicherlich nicht wie Pfleger, daß durch sein Turmopfer eine bekannte Remi-Position erreicht ist. Vielmehr sah es den Turm so und so verloren. Auch Fritz weiß nichts, denn seine Bewertung schwankt in der Folge gelegentlich zwischen Remis und einem deutlichen Vorteil für Weiß. 73. Kg7: c2, 74. Kf6 Kd2, 75. Dd4+ Kc1, 76. Ke5 Kb1, 77. Db4+ Ka2, 78. Dc3 Kb1, 79. Db3+ Ka1, 80. Da4+ Kb2, 81. Dd4+ Kb1, 82. Dd3 Kb2, 83. Db5+ Kc3, 84. Dc5+ Kb2, 85. Db6+ Ka1, 86. Dg1+ Kb2, 87. Db6+ Ka1, 88. Da7+ Kb1, 89. Db7+ Ka1, remis.

Mit dieser Partie wurde Schach fernsehtauglich, doch nach dreißig Jahren ist das Interesse erlahmt. Gewiß ist eine Partie über Stunden nicht so interessant wie die 50 peinlichsten Nippelalarme oder die 25 teuersten Schallplatten der Achtziger. Ich aber fand es spannend und kontemplativ zugleich, weshalb mir neben Snooker, Bowls und Curling im Fernsehen auch Schach gefallen würde.

[1] Ein Beitrag zu David Levy unter www.schach-computer.info gibt die vier Seiten etwas geschönt wieder. Insbesondere sind Unterstreichungen durch fette Schrift ersetzt.

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@Schach fernsehtauglich:
In den 90ern habe ich ab und zu versucht, den gelegentlichen Schachsendungen im Spätprogramm des WDR etwas abzugewinnen. Aber das blieb für meinen Geschmack immer zu sehr eine Veranstaltung für Eingeweihte. Es gab natürlich auch ständig eine graphische Einbindung des Geschehens auf dem Brett, aber da wurde immer sehr willkürlich auch mal rumprobiert, was passieren würde wenn und was gewesen sein könnte, hätte was auch immer, ich fühlte mich (auch in Anbetracht der späten Sendezeit) oft wie in einer subjunktiven Wiederholungsschleife des plutonischen Dampfhockeys. Entsprechend gering blieb der Erkenntniswert für mich, aber zumindest muss ich sagen, das Programm hatte was meditatives...

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Es war auch manchmal recht lustig, wenn Vlastimil kommentierte oder Claus Spahn die Bedenkzeit überbrückende Befragung der Amateurspieler plötzlich unterbrach, um zu sagen: Es ist schon wieder ein Zug gefallen!

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Levy und der Computer hoppeln am Ende lange herum und es stellt sich die Frage: Hatte Levy jemals eine Gewinn­position und wo hat er sie verspielt? Besäße ich Endspiel­tabellen mit sieben Steinen, könnte ich seinen entschei­denden Fehler sofort ausmachen, denn nach 64. ... Ta2: sind nur noch sieben Figuren auf dem Feld
. . . . . . k .
. . . . . . b .
. d . . . . . .
. . B . . . . .
. . B . . . . .
. . K . . . . .
T . . . . . . .
. . . . . . . .
und es handelt sich noch um eine Gewinn­stellung, weil der für einen Amateur wie mich nahe­liegende Zug 65. Dc5: auf sechs Figuren führt und eine im Inter­net zur Verfügung stehende Datenbank der Sechs-Steiner sagt, daß Weiß danach in 13 Zügen gewinnen kann. Zum Beispiel: 65. Dc5: Tg2, 66. Da3+ Kd4, 67. Df3 Tg6, 68. Kf7 Tg7:, 69. Kg7: c3, 70. Df5 Kc4, 71. Dc2 Kb4, 72. Kf6 Kc4, 73. Ke5 Kb4, 74. Kd5 Ka3, 75. Kd4 Kb4, 76. Db1+ Ka5, 77. Kc5 c2, 78. Da1#. Erst tauscht Weiß seinen Freibauern gegen den Turm und danach setzt er seine Dame den gegneri­schen Bauern vor die Nase, um in aller Ruhe seinen König heran­führen zu können. Nach 45 Minuten bei mittlerer Suchbreite sieht Fritz 6 die Lage nach 64. ... Ta2: wie folgt:

65. Df6+ mit einem Vorteil von 11,3 Bauern. Nach 65. ... Kb4 66. Dc6 ist die Lage besser als nach sofortigem Dc6, weil dann Ta7 nicht mehr möglich ist.
65. Dc5: mit nur noch 8,6 Bauern Vorteil, ohne das Matt im 78. Zug zu sehen.
65. Dc6/b7 mit 8,5 Bauern kurz dahinter. Beide verhindern Tg2 und Ta8+.
65. Dc7/d6/b5 mit 8,1 Bauern. Alle drei halten sich die Mögichkeit Dc5: offen.
65. De6/g6/h6/b8 mit 7,7 Bauern gestatten noch Schach im nächsten Zug.
65. Kf7 mit nur oder immer noch 7,6 Bauern Vorteil für den Zug von Levy, der den König an die gegnerischen Bauern heranführt.

Diese 12 Züge und auch Db1, Dd8, Kf8, Kh7 gewinnen wahr­scheinlich alle, zumindest dann wenn Schwarz sofort seinen Turm für den Freibauern opfert, denn die danach verbleibenden fünf Steine bilden eine Gewinn­stellung für Weiß. Welcher Zug am schnellsten zum Matt führt, mag mancher schon jetzt sagen können. Für einen Menschen ist der beste Zug jedoch einer, der einem allge­meinen Prinzip folgt und nicht zu Folge­fehlern verleitet. Das könnte durchaus 65. Kf7 sein.

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Wahrscheinlich liegt nach 65. Kf7 immer noch eine Gewinnstellung vor. Nur weiß ich es nicht und werde es wohl auch erst wissen, wenn in ein paar Jahren die Berechnung der Sieben-Steiner bis zu dieser Stellung vorgedrungen ist. Sofern meine Überlegungen stimmen, kann Weiß aber zumindest nach der schwarzen Entgegnung 65. ... Tf2+ gewinnen.

Zum Beispiel durch 66. Ke6 mit der Drohung Dc5:, was in ein gewinnbares Spiel mit nur sechs Steinen mündet. Verhindern kann Schwarz dies nur durch Kd4, Tf6+ und Te2+. Selbst nach 66. ... Tf5 Dc5: könnte Weiß in 46  Zügen gewinnen, obgleich es wie im Falle 66. ... Tf6+ natürlich einfacher ist, mit dem König den Turm zu schlagen. Auf 66. ... Kd4 kann Weiß mit 67. Dd6+ gefolgt von 68. Dc5: gewinnen. Damit bleibt als einzige Chance für Schwarz 66. ... Te2+, was Weiß konsequent mit 67. Kd5 beantwortet und erneut Dc5: droht. Dagegen hilft nur 67. ... Td2+, was Weiß nach 68. Kc5: zum Sieg führt. Ob der Turm sich nun noch den Freibauern greift oder nicht, er geht in jedem Falle verloren und Schwarz danach unter.

Aus welcher Angst heraus Levy nur 66. Ke7 spielte, ist mir nicht so klar. Doch auch dieser Zug gewinnt meines Erachtens analog zu Ke6. Auch nach Ke7 hat Schwarz keine andere Möglichkeit als mit 66. ... Te2+, 67. Kd6 Td2+ den schnellen Übergang in einen verlorenen Sechs-Steiner zu vermeiden. Der Weg zum Sieg ist nur härter. So reichen nach 66. Ke6 Tg2, 67. Dc5: schlappe 13 Züge zum Matt, während nach 66. Ke7 Tg2, 67. Dc5: immerhin 47 erforderlich werden. Deshalb würde man natürlich auf 67. Dc5: verzichten und einen einfacheren Weg suchen. Selbst auf 66. Ke7 Tf5 kann Weiß mit 67. Dc5: antworten und in weiteren 52 Zügen gewinnen.

Pfleger traut dem nicht und schreibt: Das Damenopfer 66.Df6 gewinnt leicht. Das Blitztempo läßt den schottischen Meister Gewinnzüge übersehen, die er sonst sicher findet. CHESS, der sich und Levy mit Bemerkungen wie "Sei vorsichtig!" und "Wie die Zeit vergeht!" antreibt, hat nach seinem 65. Zug tatsächlich mit 66.Df6 Tf6:+; 67.Kf6: Kd4; 68.Kf5 c3; 69.g8D gerechnet.

Gewiß ist das eine Gewinnpostion für Weiß, die aber 67. ... Kd4? geschuldet ist. Nach den 1979 noch nicht bekannten Endspieltabellen ist 66. Df6+ eindeutig remis. Wahrscheinlich dachte Pfleger an das im späteren Verlauf der Partie eingetretene Endspiel der weißen Dame gegen den vorgerückten schwarzen Läuferbauern, das remis endet, weil Schwarz mit seinem König nach a1 statt c1 ausweichen kann, wo er nach Schlagen des Bc2 im Patt stünde, und Weiß keine Gelegenheit findet, den entfernten eigenen König heranzuführen. Vielleicht glaubte Pfleger, der zweite schwarze Bauer auf c5 verhindere das Patt und führe damit zum Sieg. Doch hält dieser Bauer auch die Dame auf Distanz.
. . . . . . . .
+ + + + + + b +
+ + + + + k + +
+ + = + + + + +
= = B + + + + +
- - K - - - + =
- - - - - - - -
. . . . . . . .
Die Buchstaben K, B, k und b des Diagramms zeigen die Situation nach 66. Df6 Tf6:, 67. Kf6: bis auf den schwarzen Bauern auf c5. Versetzt man ihn auf ein mit mit + gekennzeichnetes Feld oder läßt ihn ganz weg, so gewinnt Weiß. Auf denen mit - gewinnt Schwarz, und auf den vieren mit = ist die Stellung unentschieden. Und dazu gehört leider auch c5.

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