Computerschach 1989
Ich war und bin ein lausiger Schachspieler und hatte schon auf dem Commodore PET 2001 verloren. War es nicht Sargon II, dann gegen ein noch älteres und schlichteres Programm. Die sagenhafte ZDF-Übertragung von David Levy gegen Chess 4.8 war schon zehn Jahre her und in den Wohnzimmern spielte bereits Mephisto, da konnte ich wenigstens ein Schachprogramm auf einer Microvax II bezwingen.

Microvax II - Wuerg (1989): 1. e4 c5, 2. d4 cd4:, 3. Dd4: Sc6, 4. Dc3 e5. Nicht der beste Zug, der aber zu 5. Sf3? verleitet, wodurch die Dame verloren geht. Nach Dg3 wäre alles noch ausgeglichen. 5. ... Lb4, 6. Lb5 Lc3:+, 7. Sc3: Sd4, 8. Kd1 Sb5:, 9. Sb5: d5, 10. Se5: de4:+, 11. Ld2 a6, 12. Sc3 Dd4, 13. f4? Mit Te1 hielte sich der weitere Verlust in Grenzen. 13. ... e3, 14. Sf3 Lg4, 15. Ke2? Weiß verzichtet auf Kc1 und zieht weiterem Materialverlust den schnellen Tod vor. 15. ... Dxd2+, 16. Kf1 Df2≠.

Wie ist der grobe Fehler 5. Sf3 zu erklären? Vielleicht dachte das Programm höchstens sieben Halbzüge voraus und rechnete durchaus mit 5. Sf3 Lb4, 6. Lb5 Lc3:+, 7. Sc3: Sd4. Dann ließe der siebte Halbzug 8. Sd4: die Lage ausgeglichen erscheinen, sofern nur Material und Zentrumsbesetzung bewertet werden, nicht aber Drohungen und unmittelbare Konsequenzen. Doch bei dieser Denkart, hätte Weiß mit 7. ... Sa5 rechnen müssen, was für die Dame nur einen Läufer und einen Bauern bringt. Und diese negative Bilanz kann wohl kaum durch die Beherrschung des Zentrums ausgeglichen werden. Kurz: Es wird ein sehr mangelhaftes Programm gewesen sein.

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Wie schlecht Computer vor 20 Jahren spielten und dennoch einen Gelegen­heits­spieler durchaus in Verlegenheit bringen konnten, zeigt die folgende in meinen Unterlagen noch gefundene Partie, die ich mit Weiß gegen ein schlichtes Programm auf einer Microvax II spielte.

Wuerg - Microvax II (1989): 1. c4 e5, 2. Sc3 Ld6, 3. g3 Sc6, 4. Lg2 Sf6, 5. e3 Tb8. Darüber hatte die Microvax lange nachgedacht. 6. Sge2 b5? Der erste richtig fehlerhafte Zug, der einen Bauern verliert. Fritz hätte sofort b6 gezogen. 7. Sb5: a6? Wieder ein schlechter Zug, der Schwarz mit anderthalb Bauern­einheiten in Nachteil bringt. 8. Sd6:+ cd6:, 9. o-o Tb4. Gegen dieses Turm­geschiebe hat Fritz zwar nichts einzuwenden, hätte nach 10. b3 den Turm aber zurück auf b8 gespielt. Schwarz denkt nicht daran und schafft sich mit 10. ... d5? auf zweieinhalb Bauern­einheiten herunter. 11. La3 Tb7. Wieder hatte die Microvax lange nachgedacht und wieder den Turm geschoben. Auch noch in die Schußlinie des Lg2, worin selbst Fritz keinen Makel sieht. 12. cd5: Sa7, 13. d6 Tb8, 14. Lb2 g5? Ein grober Fehler, der wieder einen Bauern verliert. 15. Le5: Tg8. Mir leutchtet dieser Zug anstelle einer Rochade nicht ein. Fritz sieht in ihr aber auch keinen Vorteil. 16. a4 Tb6? Und damit kommt Schwarz auf fast fünf Bauern­einheiten Nachteil. Ein Glück für den Rechner, daß Weiß in der Folge auch sehr schlecht spielt. 17. Ta2? Tg6?, 18. Sd4? a5, 19. Sf5? Kf8?, 20. Db1? La6. Hier enden die Aufzeichnungen. Dank Schwarz ist Weiß nur auf vier Bauern­einheiten Vorteil gefallen und sollte gewinnen können.

Wenn in den Kommentaren von Fritz die Rede ist, so meine ich Fritz 6 auf einem bescheidenen Notebook. Das ist nicht die allerneueste und leistungsfähigste Kombination, schlägt mich aber ohne weiteres. Trotzdem meine ich auch bei ihm manchmal einen gewissen Weitblick vermissen zu können. Es nützt aber nichts, in 90 Prozent aller Fälle mit dem Computer gleichwertig zu ziehen und gelegentlich einmal weiter zu blicken, wenn die restlichen 9 Prozent fehlerhaft sind.

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Ich hatte das Programm kritisiert, es würde mit 11. ... Tb7 den Turm in die Schußlinie des Lg2 stellen. Trotzdem ist dieser Zug nicht nur gut, wahrscheinlich sogar der beste. Der Lg2 spielt nämlich kaum eine Rolle in der weiteren Abwicklung. Bestätigt wurde ich in meiner Kritik durch mein Schachprogramm Fritz 6, das sofort und auch nach stundenlanger Bedenkzeit stets 11 ... Tb6 vorschlug. Warum?

Mit steigender Analysetiefe wird die Bewertung normalerweise extremer, weshalb es für den schlechter stehenden Spieler sinnvoll erscheint oder wirklich besser ist, eine drohende Abwicklung nach hinten zu verlagern. Hier bietet sich die Möglichkeit, Turmzüge einzuschieben. Da sie keine direkt sichtbaren Nachteile mit sich bringen, hält Fritz es für besser, vor 11. ... Tb7, 12. cd5: erst einmal 11. ... Tb8, 12. Ld6 und davor wiederum 11. ... Tb6, 12. Lc5 zu spielen.
Tiefe    Zeit     Tb6     Tb8      Tb7
        2 Sek.    222     256      234
        3 Sek.    234     241    __247
10      5 Sek.    234     241   /__247 
11     15 Sek.    244   __247__//  256
12      1 Min.    247__/__247__/   250
13      4 Min.    247__/__253      259
14     15 Min.    253__/__253      259
15      1 Std.    253__/__262    __269
16      4 Std.    262__/__262   /  275
17     15 Std.    262__/  269__/   272
Die Bewertung der drei Turmzüge in Centi-Pawn läßt vermuten, daß im wesentlichen gleichwertige Folgestellungen betrachtet wurden. Faktisch ist die Analyse von Tb6 einen Halbzug flacher als die von Tb8, die wiederum um zwei Halbzüge hinter der von Tb7 zurückbleibt. Da auf dieser Analysestufe alle drei Züge fast gleichwertig erscheinen, wird Tb6 bevorzugt, der die Last der Zukunft am besten hinter den Horizont drückt.

Inzwischen sind 24 Stunden Rechenzeit vergangen. Weiterhin liegt Tb6 knapp vor Tb8 und Tb7. Ich rechne damit, daß Tb7 in der kommenden Nacht den zweiten und nächste Woche den ersten Platz erobert, weil Fritz dann die Verbesserung 11. .. Tb6, 12. Lc5 Tb8, 13. Ld6 Tb6 14. c5 erkennen wird. Zumindest hoffe ich es.

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Ich habe falsch geklickt, und schon war die eintägige Analyse von Fritz 6 beendet, weshalb ich hier nicht berichten kann, daß 11. ... Tb7 ab dem zweiten Tag in seiner Gunst steigt. Wenn ich mein Notebook einmal längere Zeit nicht benötige oder über einen schnelleren Rechner verfüge, dann wiederhole ich die Bewertung. Ich hätte gar nicht damit begonnen, wäre ich nicht recht sicher, daß Fritz es sich irgendwann überlegt. Das ist natürlich nicht das Ergebnis meiner eigenen Analyse, sondern das einer Zusammenarbeit von Fritz und mir. Demnach sollte es so aussehen:

1. c4 e5, 2. Sc3 Ld6, 3. g3 Sc6, 4. Lg2 Sf6, 5. e3 Tb8, 6. Sge2 b5, 7. Sb5: a6, 8. Sd6:+ cd6:, 9. o-o Tb4, 10. b3 d5, 11. La3 Tb7, 12. cd5:. Weiß hat zwei Bauern mehr und einen Stellungsvorteil [297].
11. ... Tb8, 12. Ld6 engt Schwarz stark ein. 12. ... Tb6, 13. c5! [316] (13. cd5: [281])
11. ... Tb6, 12. Lc5 Tb8, 13. Ld6 ist Zugumstellung von 11. ... Tb8, 12. Ld6 [316]
12. c5? ist an dieser Stelle natürlich mangelhaft [128].

Der Zug 13. c5 soll für Weiß um einen drittel Bauern besser sein, was 11. ... Tb6 und 11. ... Tb8 für Schwarz so sehr verschlechter, daß 11. ... Tb7 besser ist. Das resultiert aus folgenden Bewertungen:
11.      La3  La3  La3  La3  La3  La3  La3  La3
11. ...       Tb7  Tb7  Tb7  Tb8  Tb6  Tb6  Tb6
12.      244       cd5:  c5  Ld6  Lc5  Lc5  Lc5
12. ...  247  241            Tb6  Tb8  Tb8  Tb8
13.      247  250  262  125       Ld6  Ld6  Ld6
13. ...  253  250  262  131  247  Tb6  Tb6  Tb6
14.      253  259  272  128  266       cd5:  c5
         262       278       281  247  
         262       275       291  266  272  275
                   294       291  281  272  291
11. ...  Tb6       297            291  275  287
12.           cd5:                291  278  297
12. ...            Sb4  o-o            281  319
13.                           c5            316
13. ...                          
14.                                c5
14. ...                                Sb4  Tb7
Unterhalb jeder betrachteten Zugfolge stehen die Bewertungen der Tiefe 11, 12, 13, ..., die Rechenzeiten von etwa 15, 60, 240, ... Sekunden erfordern, und darunter der von Fritz vorgeschlagene Zug. Die letzte Spalte zeigt, daß Schwarz nach 11. ... Tb6 oder 11. ... Tb8 letztlich nichts besseres als 13. ... Tb7 bzw. 14. ... Tb7 ziehen kann und gegenüber sofortigem 11. ... Tb7 einen fünftel Bauern verliert.

Der fortgeschritte Schachspieler mag nun meinen, dies alles hätte er ohne Computer in kürzerer Zeit herausgefunden. Möglicherweise in diesem Falle, im allgemeinen jedoch nicht, auch wenn der Mensch manchmal leichter zu erkennen vermag, welche Züge offensichtlich ausscheiden, wo Zugumstellungen das Denken vereinfachen und welche Züge nur verzögern, doch kaum etwas an der Lage ändern.

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