Mubah-Schach
Vor kurzen war Schach in Saudi-Arabien noch haram, doch zur Zeit finden dort die Welt­meister­schaften im Schnell­schach statt. Schach wird dadurch nicht gerade halal, doch zumin­dest mubah. Auf der einen Seite ist zu wür­digen, daß der neue Kron­prinz Mohammed bin Salman sein Geld nutzt, um die Öff­nung seines Landes voran­zutreiben. Auf der anderen ist aber zu bemän­geln, daß die hinter­herhin­kende Gesell­schaft keinen fairen Wettbewerb gestattet, auch wenn Frauen sich im Wett­kampf­gebäude nicht verhül­len müssen und mit offe­nem Haar ans Brett dürfen. Das war zu Beginn des Jahres in Teheran noch anders. [1]

Die Ver­suchung zur Anpas­sung ist vor allem dann groß, wenn man als Spitzen­spie­lerin an das hohe Preis­geld möchte, denn "das ganze System der Frauen-WM ist weniger auf sport­liche Aussage­kraft ausge­richtet als darauf, die Berufs­spiele­rinnen zu ver­sor­gen". [2] Eine leicht frauen­feind­liche Bemer­kung aus dem FAZ-Schach­blog. Desto höher ist der Verzicht der Doppel­welt­meisterin Anna Musytschuk zu bewerten. Sie schreibt:

"In ein paar Tagen werde ich zwei Welt­meister­titel ver­lieren - Einen nach dem Anderen. Nur weil ich mich ent­schieden habe, nicht nach Saudi-Arabien zu gehen. Nicht nach den Regeln eines Anderen zu spielen, nicht Abaya zu tragen, nicht begleitet zu werden um nach draußen zu kommen und überhaupt nicht, mich als eine sekun­däre Kreatur zu fühlen. Vor genau einem Jahr habe ich diese beiden Titel gewonnen und war der glück­lichste Mensch in der Schach­welt, aber dieses Mal fühle ich mich wirk­lich schlecht. Ich bin bereit, für meine Prin­zipien zu stehen und die Veran­staltung zu über­springen, wo ich in fünf Tagen mehr ver­dienen sollte als in einem Dutzend Veran­stal­tungen zusammen. All das ist ärger­lich, aber das Ärger­lichste daran ist, dass es fast nie­manden wirk­lich inter­essiert. Das ist ein wirk­lich bitte­res Gefühl. Das Gleiche gilt für meine Schwester Mariya und ich bin wirk­lich froh, dass wir diesen Stand­punkt teilen. Und ja, für die Weni­gen, die sich inter­essieren - wir kommen wieder!" [3]

Schon im Vorfeld gab es Kritik, auch der Schach­gewerk­schaft ACP am Welt­schach­bund FIDE. Natür­lich möchte er Schach olympia-, publikums- und fernseh­tauglich machen. Das gefällt nicht jedem gewissen­haften Spieler. Doch für dieses Ziel nicht nur welt­fremde Kleider­vor­schriften, sondern auch ein Ein­reise­verbot für israe­lische Spieler hinzu­nehmen, über­schreitet die Grenze.

[1] Gegen eine gewisse Anpas­sung ist nichts einzu­wenden. Auf weiße Socken in Sandalen und kurze Hose verzichte ich so und so. Mein Gegner sollte nicht nackt erschei­nen. Dafür strei­chele ich während der Partie auch nicht meine Katze.
[2] Stefan Löffler: Schach unterm Hidschab. FAZ-Schach­blog "Berührt, geführt", 17.02.2017.
[3] Zitiert nach Franz Jittenmeier: Rapid & Blitz WM 2017 - Titel­vertei­digerin boy­kot­tiert die WM. Schach­ticker, 27.12.2017

Es reicht

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Ich freue mich, wenn gegen meine Ein­schät­zung vernünf­tige Argu­mente vorge­tragen werden. Auch wenn sie mich nur in Einzel­fällen umstim­men, tragen sie zum Ver­ständnis gegen­teiliger Meinun­gen und Entschei­dungen bei. Thomas Richter hat es geschafft. [1] Gleich vorweg verur­teilt auch er das Einreise­verbot. Was den Aus­tra­gungs­ort betrifft, gibt er aber zu bedenken, daß sich andere Länder nicht gerade um die Veran­staltung geris­sen haben, sie ohne die Saudis wohl hätte aus­fallen müssen. Ihr Inter­esse könne man als Zeichen der Öffnung nehmen.

Die minderen Rechte der Frauen disku­tiert er nicht weg, gibt aber zu beden­ken, daß am Aus­tra­gungsort keine Kleider­vor­schriften bestan­den. So auch an der Elite-Univer­si­tät KAUST, an der man englisch spricht und keine Kopf­tücher tragen muß. Auch das mag ein Zeichen dafür sein, daß die Saudis nicht durch über­kommene Regeln den Anschluß an die Welt ver­passen möchten. Trotz­dem hat Anna Musytschuk natürlich recht mit den Frauen als Menschen zweiter Klasse außer­halb dieser Oasen. Ich gehe davon aus, daß alle Studen­tinnen einen Ausgeh-Über­wurf im Gepäck haben, wenn sie ihn nicht so und so tragen. Natür­lich wurde den Schach­spiele­rinnen einer gestellt.

Thomas Richter ist auch nur ein Mensch und kann sich deshalb einen kleinen Nach­satz nicht ver­kneifen: "Anna Muzychuks Chancen auf Doppel­gold waren aus meiner Sicht viel­leicht 10% - nun kann sie, da Beweis des des Gegen­teils unmög­lich, sich weiter­hin als Welt­meisterin bezeich­nen ..." Zum einen schreibt sie selbst, den Titel zu ver­lieren. Zum anderen bedeu­ten die 10% eine 50-zu-50-Chance auf einen der beiden Titel. Und zum dritten hätte auch ein hin­terer Platz noch gutes Geld gebracht.

[1] Thomas Richter: Jein zur WM in Saudi-Arabien. Schach­ticker, 28.12.2017

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Danke für den interessanten Beitrag (inkl. Links) - die SchachWM ist aktuell an mir vorbeigegangen (nun nicht mehr).

Soso, Sie streicheln also während des Spiels Ihre Katze... ; )

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Ich wollte nur andeuten, daß für eine Spitzen­sport-Ver­anstal­tung nicht nur die äuße­ren Bedin­gungen gerecht sein müssen, es sind auch zahl­reiche Wett­kampf­regeln zu beachten, die selbst­verständ­lich die Beklei­dung umfas­sen können. So muß man auf der Snooker-Main­tour eine Weste und eine Fliege tragen. Und es ist sinn­voll, beim Schach oder Poker eine Voll­verschlei­erung zu untersagen. Sonst könnten gerech­ter­weise sich alle hinter einem Akten­ordner ver­bergen, wie dies Ange­klagte bei Film­auf­nahmen ihrer Pro­zesse gerne tun. Wer nackt herum­läuft, muß Fern­schach spielen.

Selbst beim Dart herrscht heut­zutage eine gewisse Diszi­plin, zumin­dest unter den Spie­lern. Im Schach ist man etwas voraus: "Im Jahre 1935 war die Schach­welt noch nicht 'so weit', daß die Schach­veran­stal­tungen von einer steri­len Atmo­sphäre geprägt waren. Alko­hol und Ziga­retten am Brett waren noch nicht verpönt, es gab keinen Partie­verlust durch Verspä­tungen, und als Schach­spieler konnte man sich noch kleiden wie man wollte." [1]

Psychoterror ist im Schach nicht selten, zumal manche Spieler schwer­wiegende Mängel auf­weisen. So auch Alje­chin, der gegen Euwe seine Katzen mit­brachte. Dazu der durch seinen Sieg milde gestimmte Euwe nach [1] zitiert: "In der zweiten Hälfte des Matches ließ Alje­chin vor jeder Partie die Katzen über das Schach­brett laufen, wobei sie natür­lich Spiel­figuren umwar­fen. Manch­mal beschäf­tigte er sich mit ihnen selbst während der Partie. Doch ich glaube nicht, daß er mich damit stören wollte. Die Katzen brachten ihm Zer­streu­ung und viel­leicht sogar Selbst­sicher­heit."

[1] Schach­welt­meister­schaft 1935 - Alje­chins schlimmste Nieder­lage. Schachburg, 16.11.2012.

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