Hissa Hilal
Eines Tages hatte Unitymedia mir die letzten analogen Sender gestri­chen. Durch meinen Miet­vertrag gebunden konnte ich nicht kündigen. Ein halbes Jahr hielt ich durch, dann habe ich mir einen HD-Empfänger mit Scart-Kabel für meinen Zwanzig­zöller gekauft. Nach dem Suchlauf "zappte" ich durch die Programme und blieb beim Qua­litäts­sender Arte hängen, wo ein gespen­stisches Bild mich fesselte. Lange Gestalten in weißen Tücher wie Außer­irdische standen herum. Es dauerte eine Weile bis ich die um eine Quarte [1] zu hoch darge­stellten Menschen als Araber identi­fizierte. Dann sah ich auch eine Bolly­wood-Frau durch das Bild turnen, wahr­schein­lich die Modera­torin. Und ganz zum Schluß abseits am Bühnen­rand ein schwar­zes Gespenst mit einem goldenen Draht­geflecht in der Hand. Ich dachte, sie sei die ara­bische Uschi Siebert und müsse gleich den Preis herein­tragen. [2] Doch war sie die erste Frau, die jemals das Finale der Sendung "Milion's Poet" erreichte, wohl Dieter Bohlen für Araber mit Text statt Musik.

Ihr Name ist Hissa Hilal, sie schreibt mir unbe­kannte Gedichte, auch gegen die Obrigkeit. [3] Nach vielen Jahren hatte ihr Mann die Aus­reise zum Wett­bewerb gestat­tet. Kaum einer hat je von ihr mehr gesehen als ihre Augen, obgleich sie für eine Ehrung in der Schweiz den Gesichts­schleier ablegen mußte. Ich gehe davon aus, daß sie sich nicht wegen ihres Mannes oder ihrer Kinder bedeckt, nicht zum Schutz vor Verfol­gung, sondern aus Über­zeugung. Hätte ich ein Leben lang meine Kopf­behaarung unter einem Turban verborgen, würde ich ihn auch nicht in der Öffent­lichkeit ablegen, wie ich auch eine Ein­ladung zur Blog­lesung ausschlagen müßte, fände sie am FKK-Strand statt.

Das war im Jahre 2010. Zwischen­zeitlich hat sich in ihrem Teil der Welt für unsere Augen wenig geändert. Ganz allgemein und mit Blick auf die gesamte Mensch­heit bin ich aber zuversichtlich. Der Islam und Arabien haben sich derart in den Vorder­grund gedrängt, daß nur noch wenig einer orien­tali­schen Ver­klärung unter­liegt. Der Zahn der Zeit nagt auch an Arabien. Die Vorzüge der Zivili­sation werden sich schneller durch­setzen als das Öl versiegt. Der Islam ist ent­zaubert, die neueste Inti­fada ein Papier­tiger [4].

[1] Wenn ein 9:16-Bild 3:4 darge­stellt wird, ist es um (3/4)/(9/16)=4/3, also eine Quarte zu hoch.
[2] Die lang­järige Assis­tentin von Hans-Joachim Kulen­kampff, dem Thomas Gott­schalk der sech­ziger Jahre.
[3] Das ist wohl auch besser so. Wahr­schein­lich würden ihre Gedichte mich aufregen.
[4] Worte des Vorsitzenden Mao Tse-Tung. Verlag für fremd­sprach­liche Literatur, Peking, 1967, erste Auflage. Seite 86: Alle Reak­tionäre sind Papier­tiger. Dem Aussehen nach sind sie furcht­erregend, aber in Wirk­lichkeit sind sie nicht gar so mächtig. Auf lange Sicht haben nicht die Reak­tionäre, sondern hat das Volk eine wirk­lich große Macht.

Fernsehen

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