Das Super-Schmalz-Talent
Gibt es nicht eine Myriade von Deutschen, die besser und mit weniger Schmalz Mund­harmonika spielen? Sollten unter ihnen nicht tausend mit einer ähnlich herzzer­reißenden Geschichte zu finden sein? Und vielleicht haben hundert davon auch einen Offen­barungseid geleistet.

Fernsehen

... comment

 
Nun habe ich so manchen Kommentar zu den zahl­reichen Artikeln über das Super­talent Michael Hirte gelesen. Nur jeder zehnte übt Kritik und sagt, was offen­kundig ist. Für jeden dieser spär­lichen Kritiker gibt es zwei, denen es nicht reicht, bei der ange­rührten Mehrheit zu sein. Sie müssen sich auch von Kritikern distan­zieren und packen in schöner Regel­mäßigkeit das Wort Neid aus. Manche bekunden gar, selbst nicht neidisch zu sein. Was wollen sie damit sagen? Daß andere es sind, weil sie kein so großes Herz haben wie der Schrei­berling? Welche Rolle kann der Neid spielen, wenn man doch selbst gar nicht am Wett­bewerb teil­genommen hat und auch keinem Fanclub angehört?

Und nun muß ich auch noch eigen­initiativ dieses Wort aufgreifen, weil hier keiner die Neid­keule schwingen will. Ich muß es aber einfach loswerden: Mir gehen nicht nur die protz­auto­fahrenden Selbst­darsteller im Fernsehen auf die Nerven, die späte­stens im zweiten Satz von Neid sprechen und im dritten erwähnen, wie aner­kennend Ameri­kaner mit Ange­berei umgehen. Mich kotzen vor allem die Heer­scharen an, die selbst nichts haben und die Neid­unter­stellung munter nachplappern. Offen­sichtlich haben viele nichts besseres zu tun als sich an der kleinen Minderheit zu reiben, die nicht mit stau­nenden Augen eine reiche Angeber­blase oder Mäßig­talente umjubelt.

Und wenn einmal die Kritiker durch günstige Umstände Ober­wasser erhalten, dann wechseln die Jubel­perser die Seite, um ins gleiche Horn zu stoßen, auch wenn sie ungeübt nur ekel­hafte Töne hervor­bringen. Hauptsache bei der Mehrheit oder der Mode­strömung! So habe ich seit der sog. Finanz­krise nichts mehr vom Neid auf Manager­gehälter gehört. Vielmehr ist es populär, diese beschneiden zu wollen. Wer sowas vor einem Viertel­jahr gesagt hat, war nicht nur ein Krypto­kommunist und Neider, sondern eine Gefahr für den Wohl­stand aller, der die Welt einfach nicht verstanden hat. Leider gibt es kein Kri­terium, nach dem zuerst entlassen werden kann, wer seinen Jammer­lappen beständig in wech­selnde Winde hängt.

... link  

 
Sie sind ja bloß neidisch ;-)

Die Diskurs-Diktatur des Mobs eben. Auch daraus kann man lernen: "Erfolg" (nach den Maßstäben der Aufmerksamkeitsökonomie) hängt nicht zuletzt davon ab, sich nur rechtzeitig genug an die Speerspitze der nächsten Wellenbewegung begeben zu haben.

("Mäßigtalente" ist ein tolles Wort.)

... link  

 
Leider ist es nicht so leicht, sich an die Speerspitze zu stellen. Weniger wegen des Gedränges, mehr weil keiner genau weiß, wo sie gerade ihr Unwesen treibt. Glück ist für mich der wesent­liche Faktor zum Erfolg. Auch zusammen mit Fleiß nützen Talent und Bega­bung nur wenig, jeden­falls nicht zum großen Erfolg. Den streben die meisten Menschen gar nicht an. Sie sind deshalb auch nicht neidisch. Allen­falls der Meinung, der über­mäßige Erfolg weniger sei zumeist nicht gerecht­fertigt.

... link  

 
Passt zwar jetzt nicht genau
in die Neiddebatte, aber das könnte Sie dennoch interessieren: Eine bestimmte Presse hat es geschafft, uns zu verblöden. Die Menschen, die in gewissen Blättern als Vorbild dargestellt werden, sind oft nur Abschaum. Zu einer Hotelerbin, die außer Geld nichts vorzuweisen hat, strömen ganze Scharen von Teenagern. Eine Krankenschwester, die aufopferungsvoll ihren Job macht, gilt nichts. Die Gesellschaft muss sich neu besinnen.

Sagt Günter Wallraff in einem Interview. Und Thomas Knüwer vom Handelsblatt wittert gleich Ideologie. Tatsächlich stoße ich mich, auch wenn ich nicht jedem Kritiker Neid als Motiv unterstelle und Promis dagegen in Schutz nehme, am Begriff "Abschaum". Wenn man keine fundiertere Kritik an Menschen vorzubringen hat, die im Lichte medialer Aufmerksamkeit stehen, sollte man solche Wortgranaten besser nicht zünden, finde ich.

... link  

 
Günter Wallraff reitet beständig das gleiche Steckenpferd und brabbelt sich wie Scholl-Latour durch Talkshows. Ich muß ihm aber zustimmen: Unsere Gesell­schaft verblödet tatsäch­lich. Oder besser: Die Blöden produ­zieren sich auffäl­liger. Und der nach wie vor vorhan­dene Kern vernünf­tiger Menschen läßt sie gewähren.

Ob die Blöden unter den Reichen und Promi­nenten stärker bewun­dert oder beneidet werden als die Gebil­deten unter ihnen, weiß ich nicht. In jedem Falle wird aber die Neid­keule schnell ausge­packt, wenn man Unfä­higkeit oder Berei­cherung auch nur erwähnt.

Pervertiert die Situation allerdings über alle Maßen, dann bleibt das Neid­argument plötz­lich aus. So geschehen mit den Managern, denen einst nur Neider etwas nehmen wollten. Heute ist ihre Beschnei­dung sozial anerkannt.

Ich kann meine Einschätzung nicht von diesem Zeit­geist abhängig machen. Ich würde Vermögen einfach so rigoros besteuern, daß eine belie­bige Vermeh­rung ohne Arbeit nicht möglich ist. Das ist keine Frage des Neides, sondern der Gerech­tigkeit, denn keiner sollte sich unverhält­nismäßig mehr Anerkennung, Liebe, Bewunderung und Rechts­beugung kaufen können als der Durch­schnitts­bürger.

Ich weiß, das gefällt auch dem armen Mann nicht. Wenn er auch nicht mehr an den eigenen Lotto­gewinn oder die Ent­deckung seines verbor­genen Talentes glaubt, so möchte er sich dennoch nicht den überschau­baren Kosmos derer zerstören lassen, die er aus dem Fern­sehen kennt, auch wenn er sie bei weitem nicht alle bewundert und sich sogar von Herzen freuen kann, wenn sie sich trennen oder an Krebs sterben.

... link  


... comment